Parallelen zwischen Notfallpraxen und Kindertagesstätten

Notfallpraxis
Notfallpraxis Ärztlicher Notdienst

Zwei Themen beschäf­ti­gen aktu­ell auch die Gemeinderatsfraktion: Wie steht es um die Situation in unse­re Kindertagesstätten und was ist mit den Notfallpraxen vor Ort. Hierzu ein Kommentar des ehe­ma­li­gen Grünen-Stadtrates Kajo Aicher:

(ka, 21.11.) Was haben Notfallpraxen und Kindertagesstätten gemein­sam?? Richtig: Fachkräftemangel.

Was hilft dage­gen wenig bis nichts? Richtig: Unterschriftenlisten und Proteste

Die vor­ge­se­he­ne Schließung von 18 Notfallpraxen in Ba-Wü sorgt seit ein paar Wochen für hef­ti­ge Erregung, Protesten und aktu­ell 20.000 Unterschriften für den Erhalt der Notfallpraxen (SZ 08.11.24).

Hier der Versuch einer Einordnung: Notfallpraxen sind der „Notdienst“ der Hausärzte. Nicht zu ver­wech­seln mit der Notaufnahme in den Kliniken. Diesen Service gibt’s schon lan­ge. Nicht nur die Hausärzte tei­len sich die Dienste am Wochenende, auch die Kinderärzte, Zahnärzte aber auch die Apotheken.

Für die Ärzt:innen sind die­se Bereitschaftsdienste „Zusatzarbeit“ zu ihrer nor­ma­len Praxistätigkeit. Da wir alle wis­sen, dass es immer weni­ger Hausärzte gibt, wird die Arbeitsbelastung in den Praxen unter der Woche immer mehr. Viele Ärzt:innen arbei­ten an oder über der Kapazitätsgrenze. Nachwuchs gibt es immer weni­ger. Laut KVBW (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg) feh­len allein in Baden-Württemberg 1.000 Hausärzte!

Ein wei­te­rer Grund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts von 2023 das den bis­he­ri­gen Einsatz soge­nann­ter Poolärzte unter­sagt hat. Aus die­sem Grund fehlt schlicht­weg das Personal für die Aufrechterhaltung der Notfallpraxen. Zuvor hat­ten auch frei­be­ruf­lich täti­ge, nicht nie­der­ge­las­se­ne oder nicht ange­stell­te oder beren­tete Ärzt:innen (aber auch Krankenhausärzt:innen) als „Poolärzte“ auf Honorarbasis in den Notfallpraxen gear­bei­tet. Das geht seit dem Urteil des Bundessozialgerichts nicht mehr. Eine gesetz­li­che Regelung könn­te das jedoch wie­der ermög­li­chen. Hier ist ver­mut­lich das Sozialministerium am Zug oder in der Pflicht. Sozialminister Manne Lucha meint, dass er das nicht kön­ne… Wichtig sei für ihn, dass die Grundversorgung inner­halb der regu­lä­ren Praxisöffnungszeiten gewähr­leis­tet sei­en. (SZ 08.11.24).

Aus dem Grund hat sich die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ent­schie­den 18 Notfallpraxen, also den „Sonntagsdienst“ zu strei­chen. Bei den betrof­fe­nen Kommunen kommt das natur­ge­mäß nicht gut an.

Was bleibt dann ande­res übrig als zu schlie­ßen und die Menschen dar­auf zu ver­wei­sen, dass sie wei­te­re Wege auf sich neh­men müss­ten um im Falle einer Erkrankung, die nicht bis Montag war­ten kann, eine Notfallpraxis aufzusuchen.

Ist das zumut­bar oder nicht?

Mit wel­chen Krankheiten oder Verletzungen geht man heu­te zum Hausarzt und nicht direkt in die Notaufnahme einer Klinik? Ich weiß es nicht und kann es ver­mut­lich auch nicht beur­tei­len. In den Zeitungsartikeln wird von „Starker Husten, Grippesymptome oder Bauchschmerzen am Wochenende“ geschrieben…

Vor kur­zem gab es einen Bericht in der SZ über einen Patienten der die Notfallpraxis in auf­such­te. Seine Beschwerden Nackenschmerzen. Diese Schmerzen wur­den fürs Erste schnell mit­hil­fe von Schmerztabletten und einem mus­kel­ent­span­nen­den Mittel gelindert.

So ver­ständ­lich es ist, stellt sich die Frage ob der Patient nicht auch selbst ein Schmerzmittel hät­te neh­men kön­nen und ggf ein war­mes Kirschkernkissen zur Muskelentspannung und sich am Montagmorgen auf den Weg zum Hausarzt gemacht hät­te? Ich hät­te es so gemacht. Möchte das aber nicht ver­all­ge­mei­nern. Hätte hät­te Fahrradkette…

Ein gro­ßes Thema für die Betroffenen Kommunen sind die wei­te­ren Wege, die die Patienten auf sich neh­men müss­ten, wenn die Notfallpraxen geschlos­sen wer­den. Ein Umkreis von 30 bzw. 45 Min wird genannt. Sofern ein Auto vor­han­den und der gering ist.

Wie ist die Situation heu­te? Wenn eine Patient:in direkt an einer Buslinie wohnt die ins Zentrum von Tettnang führt, den Fußweg hoch zur Klinik schafft, dann kön­nen Patient:innen mit dem plus Fußmarsch am Wochenende in die Notfallpraxis an der Klinik TT kom­men. In allen ande­ren Fällen ist ver­mut­lich ein Auto meis­tens mit Fahrer:in notwendig.

Ob es dann zumut­bar ist die wei­te­re Strecke auf sich zu neh­men oder nicht ist die gro­ße Frage.

Um es klar zu sagen: Ich ver­steh die Aufregung und auch Verärgerung. Ich war­ne aber vor Populismus und Aussagen, dass Menschen, die kein Auto haben, die nicht oder nicht mehr Auto fah­ren kön­nen künf­tig Menschen zwei­ter Klasse sind.

Das wären sie doch heu­te schon. Da ändert auch die Schließung der Notfallpraxis nichts.

In Tettnang fährt am Sonntag heu­te schon kein Stadtbus. Die Klinik ist nur unter der Woche an den ÖPNV angebunden.

Man sieht, dass das Thema viel­schich­tig ist und ver­ständ­lich, wenn man es sich von allen Seiten anschaut.

Letztlich stellt es sich her­aus, dass es an Fachkräften und an Geld man­gelt.
Die gro­ße Frage ist also auch hier: Wie bekom­men wir mehr Hausärzte in die Fläche. Aktuell ist das lei­der nicht in Sicht.

Wenn die KVBW kein Geld hat, könn­ten dann die Kommunen ein­sprin­gen und Notfallpraxen orga­ni­sie­ren oder zumin­dest finan­zie­ren? Ich bin hier, auf­grund der Haushaltslage, sehr pessimistisch.

Eine Alternative und Abfederung die in deut­lich an Bedeutung gewin­nen wird ist die Telemedizin.

Sie ermög­licht es, unter Einsatz Video, Smartphone usw. trotz räum­li­cher Trennung z.B. Diagnostik, Konsultation, Monitoring und medi­zi­ni­sche Notfalldienste anzu­bie­ten. Insbesondere im länd­li­chen Raum ist Telemedizin ein wich­ti­ger Bestandteil der medi­zi­ni­schen Versorgung. Dadurch kön­nen län­ge­re Fahrten zu (Notfall-)Praxen ver­mie­den wer­den. Sogar Pflegeheime erpro­ben schon den Einsatz.

Die Videosprechstunde wird seit 2017 regel­mä­ßig ein­ge­setzt. Sie hat ins­be­son­de­re wäh­rend der Corona-Pandemie eine erheb­li­che Bedeutung erlangt. Die Einsatzmöglichkeiten der Videosprechstunde wur­den in den ver­gan­ge­nen Jahren, auch los­ge­löst von der Pandemie, erheb­lich erwei­tert. Auch wenn nicht alle mit die­sem Medium ver­traut sind und mög­li­cher­wei­se nicht über die tech­ni­sche Einrichtung ver­fü­gen, wer­den sich dar­aus im Laufe der Zeit ganz auto­ma­tisch Veränderungen ergeben.

Als Fazit gefällt mir dazu eine Aussage von Norbert Lammert ein: „Wir haben Probleme um die uns vie­le ande­re Länder beneiden…

Wir haben Probleme bzw. wir emp­fin­den Probleme und erwar­ten, dass die­se gelöst wer­den und zwar so wie es den eige­nen Vorlieben und Präferenzen ent­spricht. Das ist zuläs­sig, erleich­tert aber allen Beteiligten inclu­si­ve den Betroffenen den Umgang mit kom­pli­zier­ten Verhältnissen nicht. „

Weiterführender Link:
https://www.schwaebische.de/regional/zollernalb/albstadt/notfallpraxis-warum-arzte-die-schliessung-sogar-befuerworten-2989209