Am 05. August 2021 um 20:00 Uhr
Zoom-Einwahllink: https://us02web.zoom.us/j/83228933819
Online-Interview mit dem ‚Grünen-Versteher‘ Ulrich Schulte
Der Ortsverband Bündnis 90/Die Grünen in Kressbronn lädt alle Interessierten am 5. August um 20 h zu einem Online-Interview mit Ulrich Schulte ein. Ulrich Schulte begleitet die Grünen nun seit 10 Jahren, er selbst bezeichnet sich als ‚Grünen-Reporter der taz‘. Als Leiter des Parlamentsbüros und davor des Innenpolitik-Ressorts der Berliner taz hat er zahlreiche Interviews mit grünen Spitzenpolitikern geführt, grüne Parteitage besucht und regelmäßig als Kommunikationswissenschaftler mit Lehrtätigkeit an der Universität Münster die Wahlkampfstrategien der Grünen analysiert und kommentiert. Anfang des Jahres ist pünktlich zum Auftakt der Bundestagswahl sein Buch ‚Die grüne Macht – Wie die Ökopartei das Land verändern will‘ erschienen, welches er selbst als ‚Realitätscheck‘ bezeichnet. Unabhängigen Journalismus erkennt man daran, dass man am Ende nicht sagen kann, ob der Autor im wahrsten Sinne des Wortes ‚Partei ergreift‘. Schulte schreibt über grüne Politik deutlich, dass sie nicht ausreicht, um die Vorgabe des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und er analysiert die politische Strategie der Grünen, die er an mancher Stelle als präzise kontrollierte Inszenierung auf Kosten der Authentizität entlarvt: ‚…die gutgelaunte, lässige Performance der Parteichef*innen, die schönen Bilder, sind meist mehr Schein als Sein.‘ Deutlich wird aber auch eine sehr respektvolle und wertschätzende Haltung, die er den grünen Akteur*innen entgegenbringt, indem er ihre Strategie immer wieder als (notwendige) Reaktion auf die grundsätzliche Widersprüchlichkeit des Menschen und damit des Wählers/der Wählerin begründet: Grüne Wähler*innen kaufen Bioobst und fahren mit dem Rad, um dann aber im Sommer doch wieder die Flugreise nach Spanien zu buchen.
Und er geht auch mit seiner eigenen Berufsgruppe hart ins Gericht, wenn er mit virtuosen Formulierungen wie ‚die politmediale Deutungsmaschinerie legt erstaunlich traditionelle Schablonen an‘ kritisch reflektiert, dass für die meisten Medien zunächst nur ein Kanzlerkandidat Habeck denkbar war.
Im Interview möchten wir die zentralen Fragen und Kritikpunkte des Buches aufgreifen und mit Ulrich Schulte diskutieren:
Wo ist die grüne Streitkultur geblieben? Streit wird heute bei den Grünen instrumentalisiert. Nur wenn er ein gutes Licht auf die Partei wirft, ist er öffentlich erlaubt: Der Dissens, ob man den Mindestlohn direkt erhöhen soll oder besser die Mindestlohnkommission reformieren soll, die das dann selbst macht, wurde öffentlich ausgetragen, weil in diesem Fall am Ende immer rauskommt, dass sich die Grünen jetzt auch sozialpolitisch mehr engagieren. Dagegen wird die streckenweise peinliche, weil unwissenschaftliche Debatte über Homöopathie hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Schulte bezeichnet den Beschluss dazu als ‚Meisterwerk politischer Nicht-Kommunikation‘, in dem das Wort Homöopathie noch nicht einmal mehr auftaucht. Seit es um die Regierungsbeteiligung geht, also um die Macht, geht es v.a. um Geschlossenheit, insbesondere vor Wahlkämpfen! Daher gilt eher ‚Zentralkomitee‘ als Basisdemokratie. Schulte zeigt grundsätzlich Verständnis für diesen Wandel der Streitkultur, indem er konstatiert ‚Die Erregungsmechanismen der Medien und der sozialen Netzwerke bestrafen Uneinigkeit‘. Er macht aber auch das Spannungsfeld deutlich zwischen cleverer Strategie und dem Bild, das die Grünen von sich zeichnen wollen, nämlich die authentische Kraft in der deutschen Politik zu sein.
Von der Protestpartei zur Orientierungspartei? Hegemonie der Grünen? Die bürgerliche Mitte und damit Mehrheit möchten alle Parteien ansprechen, sie ist der ‚Sehnsuchtsort der deutschen Politik‘. Was bzw. wer aber genau diese sog. bürgerliche Mitte ist, darauf gibt es eigentlich gar keine genaue Antwort. Emotional ist der Begriff einfach positiv besetzt bei uns allen und das genügt, dass sich die Mehrheit in Umfragen dieser Mitte zuordnet. Die Politik hat daraus die Erkenntnis gewonnen ‚Wahlen werden in der Mitte gewonnen‘. Die Grünen haben mittlerweile gelernt, mit allen zu reden – auch mit den Bossen von Autokonzernen oder dem CSU-Innenminister. Nach Meinung des Soziologen Armin Nassehi von der LMU in München sind sie auf dem Weg zur Volkspartei! Dagegen stellt Schulte die Frage: ‚Funktioniert Klimaschutz als Klammer, auf die sich alle verständigen können?‘ Die politischen Mitbewerber versuchen mit Polarisierung dagegen zu halten und zeichnen das Bild einer drohenden Ökodiktatur. In die Hände spielt den Grünen aber die Dramatik des Klimawandels, dessen Auswirkungen sich nicht mehr ignorieren lassen und dass mittlerweile auch wirtschaftliche Interessen betroffen sind, wenn ein Absatzmarkt der Größe Chinas eine Quote für E‑Autos einführt. Nassehi favorisiert die schwarz-grüne Koalition, da sich hier zwei entgegengesetzte Kräfte um Kompromisse bemühen müssten, was eine echte konzeptuelle Erneuerung bewirken könnte. Schulte macht auch hier wieder das Spannungsfeld deutlich und fragt, ‚…wie es denn gelingen soll, die Versöhnung von entgrenztem Konsum und Ökologie, von permanentem Wachstum und Nachhaltigkeit?‘ Auch stellt er die Frage in den Raum, warum gegensätzliche Positionen produktiv wirken sollen und nicht lähmend. Als Beispiel führt er die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg an, wo die Regierung ein Klimaschutzgesetz vorgelegt hat, das sogar von dem der jetzigen Bundesregierung getoppt wird. Es bleibt spannend, ob dieses ‚Konzept schwarz-grün‘ auch bundesweit funktionieren wird?
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen an der Veranstaltung teilzunehmen. Unsere grüne Bundestagskandidatin, Maria Heubuch, wird ebenfalls anwesend sein. Es ist selbstverständlich nach dem Interview noch Zeit eingeplant für Fragen direkt an Ulrich Schulte und/oder Maria Heubuch. Das Interview wird Silvia Queri vom OV Kressbronn führen. Der Link zur Veranstaltung in den Medien bekanntgegeben und ist auf der Homepage des Ortsverbandes Kressbronn veröffentlicht (siehe oben).