Architekt Christian Knapp hat vor einigen Tagen beim Ortsverband der Tettnanger Grünen einen vortrag zum Thema Wohnungsnot und bezahlbares Wohnen gehalten. In dem fundierten Vortrag, basierend auf zahlreichen öffentlich verfügbaren statistischen Daten, verglich der Referent die Situation vor 15 Jahren mit der heutigen Situation, wie der Ortsverband mitteilt.
Trotz durchschnittlich weniger Wohnraum pro Person gab es damals keine vergleichbare Wohnungsnot, stellte Knapp fest. Er sieht vor allem eine Not an bezahlbarem Wohnraum. Die Ursachen für diesen Mangel werden in einer Fehlentwicklung am Wohnungsmarkt identifiziert: „Es wurde zwar viel, aber falsch gebaut, weil zu wenig preiswerte Wohnungen entstanden sind.“
Überlagert ist die Entwicklung von Baukostensteigerungen und Flüchtlingskrisen, diese werden aber nicht als wesentliche Ursache für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum gesehen. Als wesentliche Ursache wird die Entwicklung seit der Finanzkrise 2008 gesehen, seit der große institutionelle Anleger den Wohnungsmarkt als Anlage entdeckt haben, heißt es in der Pressemitteilung weiter.
Viele Wohnbaugesellschaften, die in der Vergangenheit für bezahlbaren Wohnraum gesorgt haben, wurden in den vergangenen Jahren privatisiert und teils mehrfach und mit hohen Wertsteigerungen weiterverkauft. Indikatoren sind die Umsätze im Wohnungsmarkt, in Baden-Württemberg, die sich zwischen 2009 und 2019 mehr als verdoppelt haben. Auch für Tettnang wurde anhand von Zahlen gezeigt, dass der Zuwachs an Wohnungen deutlich größer als der Zuwachs an Personen war. Trotzdem stiegen die Mietpreise im gleichen Zeitraum massiv weiter.
Aus Sicht des Referenten sind zwingend Förderungen zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum notwendig. Es gibt ein sehr großes wirtschaftliches Gefälle innerhalb der Bevölkerung, was sich auch an den durchschnittlichen Flächen je Person beim Wohnen zeigt: Bei selbstgenutztem Wohneigentum liegt der Durchschnitt bei 51,2 Quadratmeter je Person, bei Mietwohnungen bei 38,5 Quadratmeter je Person. Der Referent sieht dringenden Korrekturbedarf bei der Subventionierung: Vormals preisgebundene Wohnungen gehen nach Ablauf der Preisbindung in die freie Verfügbarkeit der Eigentümer und gehen als bezahlbare Wohnungen verloren. Im Bundesgebiet fiel die Zahl der Sozialwohnungen seit 2007 von 2,03 Millionen Wohnungen auf 1,14 Millionen in 2019. In Baden-Württemberg fiel der Bestand von 2002 mit 137.207 auf 56.000 in 2021 und es wird ein weiterer Abbau bis 2030 von 54.093 auf 38.744 Wohnungen prognostiziert. Dieser Mangel führe dazu, dass viele Menschen mit Wohnberechtigungsscheinen keine mietpreisgebundene Wohnung finden und sehr viel mehr für das Wohnen ausgeben müssen. Mehr als 20% der Bevölkerung muss heute schon deutlich mehr als 30% des Haushaltseinkommens für Wohnen ausgeben.
Als Lösung sah der Referent die Notwendigkeit, Wohnraum von „Ballast“ zu befreien, also Wohnraum nicht als Geldanlage zur Altersvorsorge und Vermögensaufbau zu subventionieren, sondern rein für Wohnzwecke, so wie dies etwa in Wohnbaugenossenschaften bereits möglich ist. Vorbildlich gesehen werden hier Städte wie Wien, München oder Ulm, die durch ein städtisches Flächenmanagement und gezielte Maßnahmen mithilfe von Wohnbaugesellschaften dauerhaft für bezahlbaren Wohnraum für ihre Bürger sorgen.