Statement der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zum TOP Einführung des Familienrats im Bodenseekreis (Sitzung Jugendhilfeausschuss vom 4. November 2025)

Wir als Vertreterinnen von Bündnis90/Die Grünen begrü­ßen grund­sätz­lich alle Ansätze, die Familien stär­ken, ihre Partizipation för­dern und Hilfeprozesse in der Jugendhilfe ver­bes­sern wol­len. Das Konzept eines Familienrats kann – rich­tig umge­setzt – einen wich­ti­gen Beitrag dazu leisten.

Trotzdem konn­ten wir dem vor­ge­stell­ten Konzept in der aktu­el­len Form nicht zustim­men und haben uns daher mit der „Tendenz zur Ablehnung“ ent­hal­tenDiese Entscheidung möch­ten wir begründen:

  1. Erfahrungen aus ande­ren Regionen
    Berichte aus bestehen­den Projekten in Bayern und Stuttgart zei­gen, dass dor­ti­ge Familienräte mehr­fach tagen (Folie 5 Präsentation JA: „Der Familienrat selbst ist eine ein­ma­li­ge Konferenz…“). Dies erscheint uns auch fach­lich sinn­voll, da Problemlösungen im fami­liä­ren Kontext sel­ten mit einem ein­ma­li­gen Treffen abge­schlos­sen sind. Sie erfor­dern Feedbackschleifen, Nachsteuerungen und eine lau­fen­de Überprüfung, ob die gemein­sam gefun­de­nen Lösungen tat­säch­lich tra­gen.
    In dem uns vor­lie­gen­den Konzept des Jugendamtes ist dage­gen vor­ge­se­hen, dass der Familienrat ein­ma­ligtagt. Aus unse­rer Sicht wider­spricht dies dem dyna­mi­schen Charakter von Hilfeprozessen.
  2. Verpflichtender Charakter und mög­li­che Folgen
    Besonders kri­tisch sehen wir den auf Folie 5 der Präsentation genann­ten Satz:

„Vor der Einleitung von Jugendhilfeleistungen nach §§ 27 ff. und § 35a SGB VIII müs­sen Familienräte statt­ge­fun­den haben.“
Diese Formulierung begrün­det de fac­to eine Verpflichtung. Wir befürch­ten, dass dadurch not­wen­di­ge Hilfen ver­zö­gert wer­den – ins­be­son­de­re bei Fällen nach § 35a SGB VIII, bei denen psy­chi­sche Belastungen oder Krisen vor­lie­gen. Jede Verzögerung kann hier zu einer Verschlimmerung oder Eskalation der Problematik füh­ren und den Hilfebedarf letzt­lich erhöhen.

Die Aussage der Amtsleitung, es gäbe kei­ne Sanktionen bei Ablehnung eines Familienrats, hal­ten wir in die­ser Form nicht für belast­bar. Eine Verpflichtung ohne jede Konsequenz ist in sich wider­sprüch­lich; eine mit nicht trans­pa­ren­ten Konsequenzen hin­ge­gen aus unse­rer Sicht problematisch.

  1. Freiwilligkeit und Verbindlichkeit
    Auch die Formulierung „Die Ergebnisse des Familienrats sind ver­bind­lich“ (eben­falls Folie 5) wirft Fragen auf. Wenn der Familienrat auf Freiwilligkeit beru­hen soll, wider­spricht eine sol­che Verbindlichkeit die­sem Grundgedanken. Zudem ist sie fach­lich frag­wür­dig, weil Problemlagen sich wei­ter­ent­wi­ckeln und Lösungen regel­mä­ßig über­prüft wer­den müs­sen (s.o.).
  2. Auswahl des Trägers
    Weiterhin bedau­ern wir, dass bereits ein kon­kre­ter Träger für die Durchführung vor­ge­se­hen wur­de, ohne dass ein offe­nes, trans­pa­ren­tes Auswahlverfahren statt­ge­fun­den hat. Im Kreis gibt es meh­re­re geeig­ne­te Träger – ein fai­rer Wettbewerb wäre aus unse­rer Sicht wün­schens­wert gewesen.
  3. Erwartungen an die Evaluation
    Unser Augenmerk wird nun beson­ders auf der Evaluation lie­gen. Entscheidend ist, dass dabei nicht nur orga­ni­sa­to­ri­sche oder wirt­schaft­li­che Aspekte (z. B. Fallzahlreduzierung) betrach­tet wer­den, son­dern die eigent­li­che Frage:
    Werden Familien wirk­lich gestärkt, empowert, erle­ben sie mehr Partizipation und natür­lich wer­den die Probleme adäquat gelöst?
    Nur dann kann von einem erfolg­rei­chen Projekt gespro­chen werden.

Angesichts der genann­ten Punkte und der noch aus­ste­hen­den belast­ba­ren Evaluationen aus ande­ren Regionen sehen wir der­zeit nicht, dass das Konzept in der vor­lie­gen­den Form die glei­chen posi­ti­ven Effekte erzie­len kann, wie sie andern­orts berich­tet wer­den.
Deshalb haben sich die Vertreterinnen der Fraktion im JHA von Bündnis90/Die Grünen (Sarah Kessler/Silvia Queri) ent­hal­ten.