1980 zogen die ersten Grünen in den Landtag ein. Heute sind sie staatstragend, damals wollten sie Stachel im Fleisch der Etablierten sein.
Von Roland Muschel
Als sie 1980 als erste Mitarbeiterin bei den frisch ins Parlament gewählten Grünen anheuerte, war es die Pionierarbeit, die Hedi Christian reizte.
Die 30-Jährige hatte zuvor in der Industrie gearbeitet und mit der jungen Partei nichts zu tun gehabt. Nun traf sie auf sechs grüne Abgeordnete, eine „bunte Truppe“, und bei der politischen Konkurrenz auf Vorbehalte. Die Landtagsspitze legte den Neuen viele Steine in den Weg.
Sechs Abgeordnete, das reichte aus Sicht der „Altparteien“ nicht zu dem für Zuschüsse und Parlamentsrechte wichtigen
Fraktionsstatus. Richtige Büros bekamen die „Ökos“ erst, als der erste Vorsitzende der Gruppierung, der Tübinger Wolf-Dieter Hasenclever, drohte, Zelte im Landtagsfoyer aufzuschlagen und diese mit Heringen im Boden zu verankern. Das wirkte, man traute den Grünen viel zu.
Nicht nur im Landtag stieß die „Gruppe Grün“ auf Vorbehalte. Die Basis machte sich viele Gedanken um Rotation,
imperatives Mandat und Frauenquote, aber wenig um die Parlamentsarbeit. „Verbreitet war die Vorstellung, dass ein
grüner Abgeordneter hin und wieder nach Stuttgart fährt, um eine Resolution zu verlesen“, hat Holger Heimann,
einer der Abgeordneten der ersten Stunde, in dem 1989 erschienen Sammelband „Grüner Weg durch schwarzes Land“ die Anfänge beschrieben. „Die Basis hat versucht, die Abgeordneten an ihrer Arbeit zu hindern“, sagt Hedi Christian.
Die Abgeordneten jedoch wollten ernsthaft mitarbeiten, auch wenn der erste Auftritt zum symbolbeladenen Akt geriet: Als der Landtag am 4. Juni 1980 den Ministerpräsidenten wählte, schlug Hasenclever seinen Parteifreund Hans-Dietrich Erichsen als Alternative zu Lothar Späth (CDU) vor. Der Grüne erhielt nur drei Stimmen, weil die Hälfte der
Gruppe, darunter der heutige Regierungschef Winfried Kretschmann, lieber in Gorleben demonstrierte, als in Stuttgart abzustimmen.
Nach der Wahl überreichte Heimann, mit Latzhose, Späth einen Kaktus. Stachel im Fleisch der Etablierten zu sein,
war der Anspruch. Im Parlamentsalltag versuchten die Grünen durch Fleiß aufzufallen. Vieles musste sich die
Gruppe erst erarbeiten. Dass die Grünen gegen Atomkraft waren, war klar. Aber Leitlinien für Soziales oder Kultur musste die neue Partei erst definieren. Am Ende schaffte die in Flügelkämpfe verstrickte Basis ihre Landtagspioniere – zur Wahl 1984 trat keiner mehr an. Kretschmann warf das Handtuch, nachdem er auf dem Wahlparteitag heftig attackiert worden war. Die Spitzenkandidatur von Heimann scheiterte daran, dass die Partei vergaß, ihn rechtzeitig beim Kreiswahlleiter anzumelden. Trotzdem gelangten die Grünen 1984 erneut in den Landtag, mit einer völlig neuen Fraktion.
Für Kontinuität sorgten so Mitarbeiter wie Hedi Christian, die von 1984 bis zur Pensionierung 2013 der Arbeit der Abgeordneten im Hintergrund als Fraktionsgeschäftsführerin Struktur gab. Mitarbeiter wie sie hätten einen großen Anteil am Erfolg, hat Kretschmann, der 1988 in den Landtag zurückkehrte, bei ihrer Verabschiedung gesagt. Kretschmann ist der einzige der ersten sechs Abgeordneten, der noch für die Grünen aktiv ist, die anderen
sind längst nicht mal mehr Mitglied. Hedi Christian dagegen, 1982 eingetreten, macht nun grüne Politik an der Basis: Sie
sitzt heute dem Ortsverband Salem-Heiligenberg vor.
Vielen Dank, Herr Muschel, dass wir Ihren Artikel, hier veröffentlichen dürfen.
Hier ein echtes Zeitzeugnis: die Stellenanzeige, auf die sich Hedi damals bewarb. Umgang mit Telex war erwünscht.
Die Rhein-Neckar-Zeitung hat noch ein schönes Bild zum Artikel gefunden:
(Hinweis: Die Bildzeile ist falsch beschriftet. Neben Winfried Kretschmann sitzt Wolf-Dieter Hasenclever, Rezzo Schlauch ist abgeschnitten)